Herr Prof. Dr. Vonderau, Ihre Forschungsbereiche sind sehr breit aufgestellt. So beschäftigen Sie sich beispielsweise mit YouTube und Spotify, aber auch mit vielen filmwissenschaftlichen Fragestellungen. Was fasziniert Sie an der Medienwissenschaft?
Dass die Gegenstände sich verändern, ohne beliebig zu werden. Wer Medizin studiert, hat es immer mit dem menschlichen Körper zu tun. Medienwissenschaft hingegen beschäftigt sich mit einem historisch stark veränderlichen Feld unterschiedlichster Apparaturen, Praktiken und Organisationen von großem sozialem und politischem Belang. Mich interessieren alle technische Medien, von der Telegraphie bis zur Corona-App. Vor allem aber eben die, mit denen ich mich im Rahmen längerer Forschungsprojekte beschäftigen konnte.
Sie haben in Berlin und auch an der Universität Kopenhagen studiert. In wie weit unterschied sich das Studium dort von dem an der Uni Halle?
Offensichtlich darin, dass die Uni Kopenhagen sehr international aufgestellt war. Daran müssen wir selbst noch arbeiten. Wir brauchen mehr internationale Studierende und Promovenden. Gut war in Kopenhagen zudem ein handwerkliches Verständnis von Wissenschaft, wie übrigens auch in Schweden, wo ich später zehn Jahre lang gearbeitet habe. Argumente müssen gut gebaut sein und überzeugen, sonst taugen sie wenig, egal ob die oder der Argumentierende nun einen Namen hat oder nicht. In Kopenhagen wurde in kleinen Gruppen intensiv gearbeitet und diskutiert, in Berlin waren mir die Gruppen oft zu groß, Seminare mit 60, 70 Leuten bringen es nicht. In der MuK bemühen wir uns um kleinere Gruppen und eine persönlichere Ansprache.
In einem Seminar zur Medientheorie, welches ich bei Ihnen belegte, haben wir viel über Alfred Hitchcock gesprochen. Sind Sie auch privat ein Hitchcock-Fan? Haben Sie einen Lieblingsfilm von ihm und wenn ja, was ist das Besondere an diesem?
Nein, ich bin kein Hitchcock-Fan im engeren Sinne und mache meine persönlichen Vorlieben in der Regel auch nicht gern zum Kursthema. Fans partizipieren gemeinsam mit anderen langfristig an Phänomenen der Medienkultur, schreiben die Texte dieser Kultur weiter – das tue ich nicht. Hitchcock eignet sich schlicht sehr gut für erzähltheoretische Überlegungen. Persönlich kann ich mich für alles mögliche, auch für Randständiges begeistern, sonst hätte ich diesen Job nicht. Fasziniert haben mich lange die Filme Jacques Rivettes, wegen ihrer imaginativen, offenen, teilimprovisierten Erzählformen, oder auch die eher subversiven Arbeiten Luc Moullets. Ich würde aber behaupten, dass fast jeder Gegenstand spannend wird, je länger wir ihn uns anschauen.
Haben Sie einen persönlichen Tipp für Erstsemester?
Zeit nehmen für eigene Entdeckungen. Wissenschaft lebt von Neugier und Eigeninitiative. Die besten Studierenden sind oft die, denen es gelingt, eigene Bezüge zum jeweiligen Thema eines Kurses zu entwickeln, diesen Kurs in eigene Gedankenwelten und Begriffe zu übersetzen. Anders als in der Schule geht es also nicht nur um gute Noten und das Erfüllen vorgeschriebener Leistungen sondern eben darum, die Welt der Wissenschaft für sich zu erobern. Uni mag anfangs abschreckend hierarchisch und bürokratisch aussehen, und das ist sie leider teilweise auch. Aber Wissenschaft geht über die Institution der Universität hinaus: mit genügend Eigeninitiative und Enthusiasmus wird sie zum Ticket für Auslandsjahre oder sogar für eine ForscherInnenkarriere, in der Sie weitgehend selbstbestimmt arbeiten können. In welchen Berufen gibt es das so noch?
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