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„Vom Sehen, Hören und Kommunizieren...“

Berenike Beigang

Ton? Kamera? Und bitte: Interview mit Christoph Borbach

Heute im Interview: Christoph Borbach - Doktorand sowie externer Lehrbeauftragter in der Abteilung für Medien- und Kommunikationswissenschaft


Herr Borbach, in Ihren Arbeiten verweisen Sie immer wieder auf Friedrich Kittler und damit den deutschen Sonderweg der Medienwissenschaft. Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Unter der Parole der „Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften“ legte Friedrich Kittler den Grundstein für eine Medienwissenschaft, die sich nicht mehr mit der Autorität von AutorInnen, Inhalts- und Bildanalysen oder Werkinterpretationen beschäftigte. Vielmehr wurden die historischen Bedingungen analysiert, unter welchen so etwas wie Subjekte überhaupt konstituiert und Aussagen getätigt werden konnten. Das geht einher mit einer Hinwendung zu den Apparaturen, Institutionen und Netzwerken, die es Kulturen erlauben, für sie relevante Dinge und Daten zu speichern, zu übertragen und zu prozessieren. Ganz allgemein gesagt geht es um die Verwobenheit von „Medien“ und „Wissen“ und ihren historischen Index.
International ist dieser Ansatz als german media theory bekannt geworden und ja, es handelt sich dabei in gewisser Weise tatsächlich um einen deutschen Sonderweg. Wobei angemerkt werden muss, dass es die eine deutsche Medientheorie selbstredend nicht gibt. Es ist oft von eher soziologisch orientierten MedienwissenschaftlerInnen oder welchen, die sich im- oder explizit in der Tradition der so genannten ‚Akteur-Netzwerk-Theorie‘ verorten, kritisiert worden, dass solch ein eher ‚technikdeterministischer‘ Ansatz insbesondere Aspekte der Medienpraktiken vernachlässigt. Da beispielsweise der Digitalcomputer potenziell jedes beliebige Medium sein (d.h. simulieren) kann – Radio, Schreibmaschine, Fernseher etc. – verschwinden vormals geltende Medienspezifika und -differenzen. Damit entscheiden die Praktiken darüber, was die Charakteristika unserer aktuellen Medienkultur sind. Dadurch erfahren also medienpraktisch handelnde Subjekte wieder eine enorme Aufwertung in der Forschung. Gleichwohl dürfen wir nicht vergessen, dass es noch immer die meist ‚unsichtbaren' Infrastrukturen, Kabelnetze, Serverfarmen und Datenzentren sind, die unserer ko-operativen Mediennutzung systematisch vorgeschaltet sind und die ebenfalls medienwissenschaftlich relevant sind.
Wahrscheinlich brauchen wir beides: Fundiertes Wissen um die technischen, historischen und institutionellen Bedingungen unserer Medienkultur sowie ein waches Auge (oder Ohr) für die medienpraktische Varianz technischer Objekte.
 

Welche Fragestellungen wären daraus resultierend und auch im Hinblick auf Ihr Studium in Berlin und Ihr aktuelles Fellowship am Forschungskolleg MECS (Medienkulturen der Computersimulation) in Lüneburg medienwissenschaftliche?

Am MECS in Lüneburg beschäftigt mich ein Aspekt der historischen Hintergründe unserer aktuellen allgegenwärtigen Medienpraxis: Wir agieren fortwährend an, in und mit digitalen Bildschirmen. Sei dies der Touchscreen unseres Smartphones oder das Display unserer Laptops. Doch woher kommt der ‚Bildschirm‘ als bidirektionales Interaktionsmedium eigentlich? Anders als man es vielleicht vermuten mag, kommt er nicht aus dem Fernsehen oder der Computergeschichte allein, sondern aus dem Radar. Beim Radar handelt es sich um eine Technik der elektromagnetischen Ortung – hauptsächlich von Flugzeugen und Schiffen. Schon in den 1940er Jahren verfügten Radarsysteme über Displays, mit denen interagiert wurde. Blieben Kino und Fernsehen die längste Zeit ihrer Geschichte auf Abbildungen von Realitäten beschränkt, zeigten Radarbildschirme seit den 1950er Jahren Zeichen und Dinge, die auf kein reales Vorbild mehr zu verweisen hatten. Das ist normativ für unser Verständnis digitaler Bilder.
Historisch aufzuarbeiten, was die Bedingung dieses zentralen Aspekts unserer digitalen Kultur ist, ist für mich beispielsweise ein genuin medienwissenschaftliches Anliegen – das bedarf historisch einer medientechnischen, aber auch einer medienanthropologischen Dimension. Letztlich läuft es darauf hinaus, dass ich mich als Medienwissenschaftler auch mit so Dingen wie Radartechnik beschäftige, also mit etwas, das die meisten intuitiv nicht als das typische Forschungsfeld eines Medienwissenschaftlers identifizieren würden.
„Was mit Medien machen“ ist also im wissenschaftlichen Umfeld sicher oftmals etwas Anderes, als das viele Studierende des ersten Semesters erwarten würden.


Wie hat die Corona-Pandemie Ihren Beruf als Wissenschaftler und Dozent verändert?

Gerade für uns als MedienwissenschaftlerInnen ist es natürlich sehr interessant zu sehen, wie sich die ganze akademische Lage ändert. In unserer Berufs- und Seminarpraxis verwenden wir vermehrt andere Medien als zuvor. Allein der Begriff der ‚Digitallehre‘ benennt bereits, wie wir uns von der Universität als einem doch recht analogen Ort entfernt haben.
Trotz aller Vorteile, die die digitale Situation augenscheinlich mit sich bringt – also zeitliche wie räumliche Flexibilität durch digital vernetzte Interfacetechnologien, die wir alle nutzen –, sehe ich aber deutlich die damit einhergehenden Negativaspekte und meine Gespräche mit Studierenden gehen in dieselbe Richtung. Die vermeintlich neugewonnene Freiheit in der Selbstorganisation mündet darin, dass sich vormalig bestehende Grenzen auflösen, wenn sie nicht schon gänzlich verschwunden sind: Die Differenz von Lebens- und Arbeitsraum, aber auch das Verschwinden der Trennung von Arbeitszeit und Freizeit.
Schon vor dem ersten Kaffee am Morgen ist der Laptop angeschaltet und ich beantworte Emails und ob gerade Sonntag ist, fällt mir manchmal erst nach einem Blick in den Kalender auf. Lehre und Forschung haben immer auch signifikant soziale Aspekte, sei es der Smalltalk im Büroflur oder das gemeinsame Mittagessen – und wenn diese wegfallen, mag das nicht gleich in soziale Isolation münden, aber ist doch zumindest bedauerlich.

 

Haben Sie einen Tipp für Erstsemester?

Verstehen Sie, auch wenn das aktuell schwierig erscheint, die Universität gemäß des Worts als universitas: Als eine Gemeinschaft, nämlich von Lehrenden und Studierenden. Die Hochschule ist vor allem ein Ort der Sozialisation, des Austauschs und der Diskussion. Sie lernen vielseitig interessierte und spannende Persönlichkeiten kennen. Nutzen Sie diese Chance. Ich empfand während meines Studiums diese soziale Komponente als ebenso bereichernd und wichtig, wie die universitären Veranstaltungen.
Und auch, wenn es ideale Studienverlaufspläne und das modularisierte Veranstaltungsverzeichnis nahelegen, sollten Sie nicht allein Ihre zu erwerbenden ‚Credit Points‘ darüber entscheiden lassen, welche Veranstaltung Sie zu interessieren hat. Das praktizierte Leistungspunkt-System ist durchaus berechtigt und Studiengänge sind aus guten Gründen modularisiert, vergessen Sie dabei aber nicht, dass die Universität als Ort mehr zu bieten hat, als die für Sie empfohlenen Veranstaltungen.

 

 

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